Donnerstag, 25. Oktober 2012

Business-Sprech II


Habe ich darüber schon geschrieben? Passend wäre es, denn die Gedanken dazu kommen mir nicht zum ersten Mal.

Business-Sprech. Dazu muss ich ausholen. Der Begriff ist augenzwinkernd angelehnt an den Begriff "Neusprech" aus dem Roman "1984" von George Orwell. Dort entwickelt die böse Überwachungsstaat-Regierung eine eigene Sprache (nämlich das Neusprech), um totale Kontrolle über das Volk auszuüben. (Sollte jeder mal gelesen haben)

Das Ziel von Neusprech ist es, die Sprache unter totale Kontrolle zu bringen, und damit angelehnt auch das Denken der Menschen zu kontrollieren. Darum wird die Sprache kontrolliert, standardisiert und gelenkt.

Auf Wikipedia wird dazu schön erklärt: "Durch die neue Sprache bzw. Sprachregelung soll die Bevölkerung so manipuliert werden, dass sie nicht einmal an Aufstand denken kann, weil ihr die Worte dazu fehlen."

Am Anfang und am Ende dieser Überlegung steht: Sprache ist Denken.

Ein Mensch denkt in den Vokabeln, die er zur Verfügung hat. Dementsprechend lässt sich auch unterstellen, dass ein umfangreiches Vokabular differenzierte Denkvorgänge erst ermöglicht. Nicht umsonst gehört das Lesen lernen zu den ersten Aufgaben, die wir in unserem Bildungsweg vorgesetzt bekommen. So lässt sich sagen: Worte sind wichtig.

Nun leitet sich vom "Neusprech" das "Business-Sprech" ab. Es ist für mich eng verwandt mit dem "Marketing-Sprech". Hier kann man an die Kritik dieser Konstrukte zweierlei herangehen: Kritik der Form oder des Konzepts.

Form: Dass Marketing-Sprech formal teilweise Blödsinn ist, ist meist ziemlich offensichtlich. Zum Beispiel redet die Presse gern vom [besten/größten/teuersten] [Film/Produkt/Konzept] aller Zeiten. Was sind denn alle Zeiten? Alle Zeiten sind alle Zeiten, also vom Urknall bis ins Jahr unendlich. Wie kann man da urteilen, ob es irgendwann nicht noch ein(en) [Film/Produkt/Konzept], geben wird, das/der [ besser/größer/teurer] wird?

Die Eigenschaft "[xxx] aller Zeiten" ist also formal offenkundiger Schwachsinn. Pure Marketing-Übertreibung. Genauso wie das "vollste" Vertrauen, oder alles, was "reinst" oder "extremst" ist.

Es lässt sich also sagen, dass hier gerne mal Formulierungen benutzt werden, die blödsinnig sind. Dazu kann ich jedem die "Airline Announcements" von George Carlin empfehlen.

Wunderschön.

Konzept: Das Problem mit Marketing- und Business-Sprech ist, dass teilweise sehr stark mit Euphemismen und Vereinfachungen gearbeitet wird. Dass im Arbeitsalltag und auch in der Kommunikation auf Arbeit Fachbegriffe und Slang notwendig sind, will ich gar nicht absprechen. Mein Bedenken ist, dass die Vereinfachung so stark wird, dass es das Denken beeinträchtigt.

Da wären zum Beispiel die Euphemismen. Wir haben auf Arbeit keine Probleme mehr, sondern "Herausforderungen". Auch schön sind "Negativerfolge", arbeitslose sind nicht arbeitslos sondern in einer "Neuorientierung". Dass Euphemismen eigentlich gar nichts bringen, habe ich hier beleuchtet.

Aber mein Hauptgedanke ist folgender: Je simpler die Sprache, desto simpler des Denken. Worüber ich mich ständig aufregen könnte, sind die Worte "zeitnah" und "Call". Wie oft habe ich auf Arbeit gehört "ich habe gerade nen Call reinbekommen." Was ist ein Call? Interessanterweise reicht das Bedeutungsspektrum von "Meine Olle hat grad angerufen." über "Ich telefoniere gerade mit einem Kunden" bis zu "Wir haben einen Auftrag bekommen." Und "zeitnah" ist so ein weichgespültes Wischiwaschi-Wort, das NICHTS aussagt. Im Geschäftsbetrieb frage ich dann immer: "Was heißt denn zeitnah?" Die Antworten reichen von "das muss innerhalb der nächsten Stunde passieren!!1" bis zu "Naja, diesen Monat wär schon schön." DANN SAGT DAS DOCH AUCH! "Zeitnah" ist ein Wort für all die Betas, die sich nicht trauen, "schnell" oder "bald" oder "so schnell wie möglich, Sie Arsch!" zu sagen.


Klar ist mir bewusst, dass sich Sprache ständig verändert, und dass Substitute aus anderen Sprachen aktuelle Worte oft im Laufe der Zeit ersetzen. Mich ärgert nur, dass jemand etwas simples (was zu dem Zeitpunkt sogar gut und schnittig klingen mag!) sagt/schreibt, und tausende plappern es blind, ohne nachzudenken nach.

Einer nennt seine Firma "ProSolutions". Weil wir im modernen Business keine Software oder Hardware mehr anbieten, sondern "Solutions"/"Lösungen". Ich wusste nicht, ob ich weinen oder lachen sollte, als ich bei HP Treiber runterladen wollte, aber keine Grafik- oder Soundkartentreiber fand, sondern nur Treiber für meine Audiolösung. Wenn ich eine Lösung in meinem Rechner hätte, dann HÄTTE ICH ECHT PROBLEME!

Plötzlich sprießen Firmen mit "Pro" im Namen überall aus dem Boden. Produkte mit "Pro" tauchen überall in den "Portfolios" (nicht etwa "Angebote" oder "Produktpaletten"). Ist ja auch ne tolle Silbe. Heißt gleichzeitig Pro(fessionell) und pro (im Sinne von "für") Wie herrlich Positiv. Langweilig wird es nur, wenn es ALLE GENAUSO MACHEN!

Wenn sich mein Skype updatet, updatet sich mein Skype nicht, sondern Microsoft "verbessert" meine "Skype-Erfahrung". Wenn ich mit einem Freund rede, und er statt zu lachen "lol" sagt, fühle ich mich total verarscht. Sehr vielfältige Silbe übrigens. Gibt's auch als Frage: "lol?" Könnte ich reinschlagen.

Sprache ist Denken! Sprache ist vielfältig! Für so viele Nuancen gibt es eigene Begriffe und sehr schöne Worte!

Wer sich nur noch auf das Piepsen der Einparkhilfe verlässt, verlernt das richtige Einparken, was verbunden ist mit räumlicher Wahrnehmung, Koordination und dem Treffen von Entscheidung. Wer nur noch nach Navi fährt, verlernt, sich zu orientieren. Wer sich ständig auf seine automatische Rechtschreibkontrolle verlässt, formuliert auch im Geist die Worte nicht sorgfältig. Weil es ja "so bequem" ist. Was ich im Geschäftsbetrieb in GROSSEN Firmen schon für haarsträubende Grammatik und Rechtschreibung gesehen habe, mit KUNDEN! ....da kräuseln sich mir die Fußnägel.

Natürlich ist Sprache ein fließender Prozess. Aber selbstständig sprechen geht Hand in Hand mit selbstständigem Denken. Langweilig wird es, wenn alle das selbe plappern.


Leider achten viel zu wenige Menschen in allen Gesellschaftsschichten darauf, dass man mit Sprache sehr differenziert arbeiten kann. Das finde ich doppelplusungut.


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