Montag, 6. April 2009

Euphemismus-Tretmühle



Ja, richtig. Es gibt ein Konzept, das heißt Euphemismus-Tretmühle.

Dahinter steht folgende Theorie:
es gibt bestimmte Begriffe, die sind pejorativ besetzt, das heißt, die zu sagen klingt böse. Beispiele sind "Nigger", "Krüppel" oder "Nutte".
Nun leben wir ja in einer Welt, in der alle total nett, lieb, tolerant und rücksichtsvoll sind. Darum sagt man solche bösen Worte nicht mehr.

Sagt man eins dieser Worte, schwingt in der westlichen Schuldkultur sofort...naja, Schuld mit.
Probiert das mal aus. Geht nach draussen in die Fußgängerzone, wo euch jeder hören kann, und sagt laut und deutlich "Nigger!". Ihr werdet bemerken, dass euch die Leute komisch angucken, und dass ihr ein Gefühl von Schuld empfindet, vielleicht auch noch Angst, weil euch das jemand krumm nehmen könnte.
Gut funktioniert das auch mit "ficken!", "Fotze!", oder "Hitler!".
Also, was macht der brave amerikanisierte Deutsche? Ganz klar, er wird politisch korrekt. Klingonisch, is aber so.

Was heißt das für uns konkret?


Wir sagen nicht mehr "Nigger", nein. Wir versuchen es freundlich auszudrücken, durch Euphemismen. Euphemismen sind nette Worte für böse Dinge. Zum Beispiel "abkratzen" für "sterben". Oder "berühmter geschichtshistorischer deutscher Altpolitiker mit antimarxistischer Ausrichtung" für "Hitler".
Was heißt das in Bezug auf unsere Beispiele?
Wir sagen nicht mehr "Nigger", sondern "Neger", und "Behinderter" statt "Krüppel".

Probieren wir's aus, selbe Fußgängerzone, selbe Tageszeit: "Neger!", "Behinderter!" Gucken die Leute, empfinden wir Schuld? Ja klar, aber warum?

Sobald ein pejorativ besetztes Wort durch einen Euphemismus ersetzt wird, nimmt er nach und nach die pejorativen Eigenschaften des Vorgängers an. Plötzlich ist das Wort "Neger" böse, "Behinderter!" wird als beleidigend empfunden, obwohl sie doch erst die Worte davor beschönigen sollten.
Die Tretmühle geht weiter, wir suchen neue Worte. Heute sagen wir (natürlich!) nicht mehr "behindert", weil das ja beleidigend ist. Die Tretmühle fördert dann solche lustigen Worte wie "körperlich oder geistig herausgefordert" oder "Kind mit Migrationshintergrund" zutage.
Und es kommt wie es kommen muss, auch diese Worte klingen mit der Zeit immer "böser".

Sprachzensur durch übervorsichtige Vollpfosten ist Schwachsinn?
Seid nett zueinander, egal wie?
Sprecht einfach, wenn sich wer auf den Schlips getreten fühlt wird er das schon deutlich machen?

Unsere Sprachangst zeichnet sich auch deutlich in der Wirtschaft ab. Computerläden bieten jetzt nicht mehr ihre Dienste an, sondern "Solutions" oder "Lösungen". Geschäft ist nicht mehr Geschäft sondern "Business". ich meine, ich hab nichts gegen Anglizismen, nach jahrzehntelanger amerikanischer Besetzung (der Wohnzimmer durch Ami-Sitcoms) zeichnet sich das eben ab. Meine erste Fremdsprache ist auch Englisch, die ich mittlerweile ganz gut beherrsche, aber ich beherrsche auch Deutsch, und spreche es gerne.
Die deutsche Sprache ist vielfältig, und diese ganze Übervorsicht ist langweilig und einschränkend.
Man kann es eh nie allen recht machen.
Besser so reden, wie einem der Schnabel gewachsen ist, und gegebenenfalls klarstellen, wie man es gemeint hat, als von Lebensmitteldesignern statt Köchen, vertikal benachteiligten Menschen statt kleinen Menschen, Kindern mit Migrationshintergrund statt ausländischen Kindern oder Lernprozessbegleitern statt Lehrern zu reden.

4 Kommentare:

  1. Lernprozessbegleiter, ich werf mich ins Eck. Klasse! Viel schlimmer finde auch noch die verbalen Nebelkerzen der Politiker:Systemrelevant, Fördergelder für Opel betreffend. Habe heute ein Interview mit Herrn Forster (Opelchef) gelesen, in dem diese Neuschöpfung mindestens 3x vorkam. Gruselig.
    Lechthaler

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  2. An welcher Stelle genau ist das Wort "Neger" noch gleich beschönigend? Grade das ist doch ein Wort, dem die Beleidigung innewohnt, die akzeptable Form davon wäre "Schwarzer", die politisch korrektere "Afroamerikaner", und die politisch korrekteste "maximalpigmentierter Mitbürger". :)

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  3. @Julia
    Im Gegensatz zu "Nigger" ist "Neger" ziemlich freundlich.
    Ich finds krass, wie sich das Wort "Afroamerikaner" einbürgert.
    Das klingt so, als ob alle Schwarzen aus Amerika kämen.

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    1. Nope, beides ist im deutschen Sprachraum etwas, das negativ konnotiert ist - und nicht nur, weil es grade eben etwas anderes, viel viel schlimmer klingendes ersetzt hat, sondern, äh, schon immer - vor allem für die Betroffenen.
      Zu sagen das eine Wort sei weniger schlimm als das andere ist ebenfalls nutzlos: eine Staffelung der Fiesheiten gestattet nicht notwendigerweise der am wenigsten fiesen den Alltagsgebrauch.

      Wie wär's, wenn wir stattdessen die Selbstbezeichnung 'Schwarze' oder 'Schwarze Deutsche' nähmen, die haben sich nämlich Menschen ausgedacht, die tatsächlich mit schwarzer Haut rumlaufen. Oder, noch besser: wieso überhaupt Menschen auf ihre Hautfarbe runterbrechen? Ich sag doch auch nicht: 'Die weiße Kassierein hat mich fast ums Wechselgeld beschissen.'
      Sprache verändert sich nämlich nicht nur, sie drückt durch Beibehaltung bestehender Sprachkonzepte auch Unterdrückung und Privilegien aus.

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